Dinosaurier: Interview mit Regisseur Leander Haußmann

Bild von Sebastian Lorenz
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Herr Haußmann, früher haben sie Filme über rebellische Jugendliche gemacht...
Vor allem habe ich Filme übers Älterwerden gemacht. Die Jungs in meinen Filmen hatten Probleme damit, erwachsen zu werden. Sie hatten Probleme wie du und ich.

Und jetzt sind Sie erwachsen?
Wer? Ich? Nein!

Und Ihre Figuren?
Die „Dinosaurier“ sind höchstens alt, von erwachsen kann da keine Rede sein. Es fängt ja alles wieder von vorne an.

Von vorne?
Am Anfang ist man kindlich, so bis neun oder elf. Dann wird man kindisch, es geht also auf das Erwachsenwerden zu: „Sei nicht so kindisch, du bist doch schon groß“. Dann ist man einfach nur noch erwachsen. Die Kindheit ist nur eine nebulöse ferne Erinnerung, ein Licht, von dem wir uns immer mehr entfernen. Irgendwann wird man wieder kindisch, so ab 50, man nennt das wohl “Midlifecrisis“. Ganz von Ferne sieht man das Licht wieder. Ich denke das Licht ist der Ausgangspunkt, wir dürfen wieder kindlich sein, es wird heller und leichter.

Sie arbeiteten mit ihrem Vater; wie war das?
Mein Vater war der Schauspieler. Ich der Regisseur.

Ja ja, aber der Schauspieler ist auch ihr Vater.
In erster Linie ist mein Vater Schauspieler...

Ja, aber er ist Schauspieler, der ihr Vater ist
Das ist korrekt.

Sie finden die Frage langweilig?
Weil sie so naheliegend ist. Manchmal muss man Umwege gehen, wenn man sein Ziel erreichen will, so wie die Helden des Films, so wie Sie als Journalist. Umwege gehe ich gerne. Ich weine zum Beispiel nicht gerne vor anderen und sehe es auch nicht gerne bei anderen, jedenfalls nicht im Theater, und im Kino nur, wenn es überhaupt keinen anderen künstlerischen Ausdruck dafür gibt. Ich bin eher einer, der sich emotional zusammenreißt, aus Höflichkeit. So würde ich auch „Komödie“ sehen. Als Umweg oder vielmehr unbemerkt, durch die Hintertür, in die Herzen der Menschen zu gelangen, das möchte ich gern. Komiker sind Parasiten, wie Narren am Hofe Iwan des Schrecklichen oder Vlad dem Pfähler, wenn sie wissen was ich meine.

Wenn sie etwas weniger metaphorisch...
Wäre die Realität ein Hund, wären wir wohl die Flöhe, wäre sie ein Magen, wären wir der Bandwurm ... also lästig. Vor allem denen, die sich ernst nehmen.

Die Realität ist aber nun nicht immer lustig.
Stimmt. Aber das kriegen wir ja frei Haus. Sehen Sie, wie man traurig ist, weiß jeder. Im Kino oder Theater ist mir die Tragödie eine zu ungenaue und nicht nachprüfbare Interaktion zwischen Erzähler und Zuschauer. Oh Gott, wie furchtbar, diese Stille im Zuschauerraum. Ich lache gerne öffentlich, dafür gehe ich nicht in den Keller. So war es schon immer bei mir, schon in der DDR, über die DDR, wo man mir das natürlich übelnahm. Psychologen würden das ein emotionales Manko nennen, ich nenne es meine Passion. Weinen auf der Bühne? Bei mir nur zu dem Zweck, das die Leute lachen. Drama ist zu häufig mit ernsten Gesichtern verbunden, mit dicken Tränen, die meistens mit einem Pfefferminzstift erzeugt werden, der in der Maske zu bekommen ist. Anstatt von Shakespeare oder Tschechow zu lernen, orientieren wir uns an Rosamunde Pilcher. Diese Art Eins-zu eins-Dramaturgie gefällt den Deutschen irgendwie. Tod ist dunkel und traurig, Geburt ist schön und hell. Tut mir leid, es langweilt mich.

Und wohin gehen Sie, wenn sie wirklich weinen?
In den Keller wahrscheinlich.

Das Thema des Films ist ja jetzt nicht gerade der Schenkelklopfer schlechthin, Krankheit, Alter und Tod im Altersheim...
Ich hatte ja Spezialisten vor Ort, Leute, die sich gut mit diesen Dingen auskennen, mit Alter und Krankheit.

Fachberater waren vor Ort?
Meine Schauspieler.

Und zwar deutsche Komikerlegenden. Wie war die Zusammenarbeit?
Nicht leicht.

Für wen?
Für die Darsteller: Seien sie mal 80 Jahre alt und lassen sie sich von einem jungen 50-jährigem Hüpfer sagen, was er tun soll. Oder – noch schlimmer – was komisch ist. Ralf Wolter hat die ersten zwei Wochen nur den Kopf geschüttelt, wenn ich was sagte. Ich dachte erst, er hätte Parkinson. Hat er aber nicht. Er hat mir dann Briefe mit Textänderungen geschickt, die ich teilweise auch übernommen habe. Dann wirkte er aber sehr zufrieden. Er hat mir sogar ein Gedicht geschrieben, nicht gerade eine Ode, aber doch ein liebevolles Dankeschön-Sonette.
Und Walter Giller wollte anfangs einige Worte partout nicht sagen, aus Prinzip nicht. „Fotze“ zum Beispiel. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das komisch sein soll. Auch Eva Maria Hagen war skeptisch. Sie ist ja sehr ernsthaft, engagiert sich gegen jede Ungerechtigkeit, schließlich war sie mal mit Wolf Biermann zusammen. Da war es mit meinem Vater am einfachsten. Schließlich hatten wir schon am Theater häufig zusammengearbeitet. Ich muss dazu sagen, hätte mein Vater nicht mit mir gearbeitet, ich wäre nie an die Schauspielschule Ernst Busch gekommen und folglich nie hier. Natürlich sind Auseinandersetzungen unter Familienangehörigen am Set nicht ungefährlich, sie sind oft emotional, das kann dann schnell für alle missverständlich werden. Es gab eine solche Situation, mein Vater und ich brüllten uns ziemlich stark an, da hörte ich einen Techniker leise zu einem anderen Techniker sagen: „Irgend so ein Vater–Sohn Ding“.
Aber irgendwie gehört neben großem Respekt vor diesen Schauspielern auch das rechte Maß an Respektlosigkeit dazu. Außerdem war meine Arbeit am Drehbuch Legitimation genug, alle mit meinen Vorstellungen zu konfrontieren; ich hatte ihnen ja die Rollen auf den Leib geschrieben. Am Ende schüttelte Ralf Wolter nicht mehr mit dem Kopf und Walter Giller sagte „Fotze“ und „ficken“ und kam selbst nicht mehr aus dem Lachen heraus. Auch Frau Giller hat einen wunderbaren Humor; sie verlor während eines Takes ihren Rock und wir konnten uns alle davon überzeugen, dass ihre Beine tatsächlich noch immer sehr schön sind.

Und die Dschungelkönigin?
Ingrid van Bergen meinen Sie? Ich kann nur sagen, sie ist die offenste Person, die ich kenne. Sie ist eine hervorragende Schauspielerin und zu allem bereit, schauspielerisch und auch lebenstechnisch.

Das Thema Pflegeheim ist in unserem Land zurzeit sehr präsent, Pflegestufen, Pflegepersonal, Altersheime, Gesundheitspolitik…
Darum geht es in dem Film aber nicht. Es geht um Menschen, die in ihrer Lebenssituation lernen mutig zu sein und ihre Behinderung überwinden, und, so will es das Genre, in schwierige und beinahe unlösbare und dadurch komische Situationen geraten. Aber das Unperfekte, das Menschliche triumphiert. Übrigens nicht nur in meinen und den Filmen, die ich liebe, sondern vor allem im Leben selbst. Daran glaube ich ganz fest. Würde mir dieser Glaube verloren gehen, wäre ich ein Dramenregisseur, aber davon gibt es ja genug. Und noch was, sie werden in meinen Arbeiten nie Hohn oder Spott finden, sondern – und so muss es sein – ein großes Maß an Empathie, übrigens auch mit den Antagonisten. Meine Komik entspringt meiner Zuneigung zum Nicht-perfekten des menschlichen Daseins.

Wie würden Sie Ihre beiden Hauptfiguren Lena Braake und Johann Schneider charakterisieren?
Die beiden stehen dafür, wie wichtig der Wunsch zu Leben ist und wie extrem selbst verantwortlich man dafür ist, dass es weiter geht. Dafür steht auch die traurige Szene am Anfang, wenn sich Lena ins Bett legt und nicht wieder aufstehen will. Und der andere, der meint, sich mit dem Leben im Altersheim arrangiert zu haben, indem er seiner kriminellen Energie alle Ventile öffnet. Die Geschichte dieser beiden wird begleitet von Nebenrollen, die ebenfalls alle ihre kleinen Geschichten und Auftritte haben. Das war schon immer meine kleine Obsession – in ROBERT ZIMMERMANN WUNDERT SICH ÜBER DIE LIEBE, SONNENALLEE und HERR LEHMANN sind es ja auch immer die kleinen Figuren, die zu ihrem Recht kommen.

Besonders für den von Ihrem Vater Ezard gespielten Schneider hegen Sie in DINOSAURIER eine unverhohlene Sympathie – obwohl er ein Hochstapler ist?
Die Welt braucht mehr Hochstapler! Damit meine ich nicht die Art Hochstapler wie sie unsere Politiker stellen, sondern in der Tradition der Tennessee-Williams-Adaption DER REGENMACHER mit Burt Lancaster – einer meiner Lieblingsfilme. Das sind Menschen, die anderen Menschen Hoffnung geben. Die Wahrheit ist nicht immer das, was man wissen muss. Eine Lüge kann auch eine große Wahrheit sein. Hochstapler, Trickbetrüger, Taschendiebe – das sind meistens große Künstler mit kreativen Ideen. Aber im Vergleich zu uns Künstlern riskieren sie mehr.

Ist eine romantische Komödie der angemessene Zugang über die Zustände in einem Altersheim?
Ich bin ein knallharter Verfechter der These, dass Kunst einen aufbauenden Charakter haben muss und keinen niederschmetternden. Dass das Leben schwierig und oft traurig ist und aus bestimmten Situationen keinen Ausweg bietet. Wir dürfen aber doch Utopisten sein und den Menschen auf unterhaltsame Weise sagen: Aus dem Schlechten kommt oft das Gute. Oder um es mit dem Dichter zu sagen: Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. So wie in DINOSAURIER: Der Film beginnt melancholisch, mit Bildern, die wir vielleicht von unseren eigenen Verwandten kennen. Oder aus unseren Albträumen und Ängsten.
DINOSAURIER war meine schwerste Arbeit, am Ende aber auch die erhellendste. Ich habe es als große Gnade empfunden, weil ich viel – nicht nur über meinen Beruf, auch über das Leben gelernt habe. Ja das kann man so sagen: Übers Leben habe ich viel gelernt.

Ihr Thema wäre auch für ein Drama gut, vielleicht wirkungsvoller.
... und Festivals würden sich um mich reißen. Aber wie heißt es in meinem Film „Herr Lehmann“?: „Scheiss der Hund drauf!“ Wissen Sie, als mein Großvater von uns ging, war ich sehr jung und ich habe ihn auf seinem Weg begleitet. Und ich darf sagen, das zog sich. Als es dann final wurde, drehte sich mein Großvater noch einmal zu mir um und sprach klar und deutlich: „Jetzt hätte ich Lust auf ein kühles frischgezapftes Bier“. Dann lächelte er und fügte noch hinzu: „Pferde, Weiber, Tattersaal – allet andre scheißegal“, dann starb er. Draußen schien die Sonne, es war Sommer, auf seinem Nachttisch stand das Bier, das ich ihm besorgt hatte und an dem er nur noch nippen konnte. Als ich ins Freie trat, spürte ich bei aller Trauer auch eine neue Kraft. Ich glaube, das war die Energie, die mir mein Großvater übertragen hatte und das werde ich nie vergessen, eine besondere einzigartige Glückserfahrung. Ich lebte und liebte das Leben. Das war wohl die Botschaft. Von diesem Großvater habe ich auch den Leitsatz: immer zur Familie halten.

Wie man im Abspann lesen kann.
Tatsächlich treten im Film aus meiner Familie auf, wer nur möglich war.
Meine Schwester ist auch im wahren Leben Altenpflegerin, sie war unsere Schwester Iris, Mitspielerin, Vertrauensperson und das Blutmessgerät immer parat. Mein Sohn spielt meinen Sohn und ich spiele den Sohn meines Vaters. Mein Neffe spielt den Zivi, der auch gleichzeitig mein 3. Assistent war und meine Mutter hat zuhause alles aufgefangen, womit ich mich nicht am Set nicht beschäftigen konnte – also es bot sich halt an.

Ihr Vater wurde nach den Dreharbeiten sehr krank.
Im Film spielt er einen Gesunden, der immer den Kranken spielt, jetzt versucht er es mal umgekehrt. Zur Premiere wird er mit uns allen über den Roten Teppich gehen; er übt schon. Das Leben ist eben nichts für Feiglinge.